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Die Bezeichnungen Paracetamol und Acetaminophen leiten sich beide von dem chemischen Namen Para-(Acetylamino)phenol bzw. Para-(Acetylamino)phenol ab. Paracetamol wird im Rahmen der Selbstmedikation als Monopräparat oder Bestandteil verschiedener Kombinationspräparate zur symptomatischen Behandlung von Erkältungsbeschwerden und Schmerzen eingesetzt. Seit ihrer Einführung in den 1950er Jahren, fast 70 Jahre nach der erstmaligen Herstellung dieses Wirkstoffs durch Harmon Northrop Morse, zählen Arzneimittel mit Paracetamol ? neben jenen, die Acetylsalicylsäure oder Ibuprofen enthalten ? weltweit zu den gebräuchlichsten Schmerzmitteln.
Die Herstellung von Paracetamol als Produkt der Reduktion von p-Nitrophenol mit Zink in Eisessig (konzentrierte Essigsäure) wurde erstmals 1878 von Harmon Northrop Morse beschrieben. Josef von Mering verwendete 1887 Paracetamol erstmalig in der Heilkunde, jedoch erweckte die Anwendung wenig Aufsehen. Deutlich mehr an therapeutischer Bedeutung gewannen in den folgenden Jahren zwei dem Paracetamol nahe verwandte Substanzen, das Acetanilid und das Phenacetin.
1893 wurde Paracetamol erstmals im Urin eines Menschen nachgewiesen, der Phenacetin zu sich genommen hatte. 1899 wurde das Paracetamol außerdem als Stoffwechselprodukt (Metabolit) des Acetanilids erkannt ? diese Entdeckungen blieben jedoch ohne Resonanz, so dass Paracetamol weiterhin keine Anwendung in der Medizin fand.
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Paracetamol bekannter, als es 1948 von Bernard Brodie und Julius Axelrod am '''' ein zweites Mal als Metabolit von Phenacetin identifiziert wurde. Diese forschten im Regierungsauftrag nach neuen Schmerzmitteln und zeigten in ihrer Arbeit auf, dass der schmerzstillende Effekt des Acetanilids und des Phenacetins vollständig auf das Abbauprodukt dieser Stoffe, das Paracetamol, zurückzuführen ist. Sie regten an, diesen Stoff in seiner Reinform zu nutzen, um die toxischen Nebenwirkungen der Ursprungsstoffe zu vermeiden.
Seinen ersten Einsatz in einem Fertigarzneimittel fand Paracetamol 1955 in den USA in ''Tylenol® Children's Elixir der Firma McNeil Laboratories. Seit 1956 ist Paracetamol in Tablettenform mit 500 mg Wirkstoff erhältlich und wurde in Großbritannien unter dem Markennamen Panadol® verkauft, hergestellt von der Firma Frederick Stearns & Co, die ein Ableger der Sterling Drug Inc. war. Es war ausschließlich auf Rezept zu bekommen und wurde als schmerzstillendes und fiebersenkendes Mittel beworben, welches zugleich den Magen schone. Die damals bereits bekannte Acetylsalicylsäure ist weniger magenfreundlich. 1958 kam zusätzlich eine Kinderversion des Präparates mit dem Namen Panadol Elixir® auf den Markt. 1959 wurde Paracetamol vom Münchener Unternehmen bene-Arzneimittel als erstes Monopräparat unter dem Markennamen ben-u-ron®'' auf dem deutschen Markt eingeführt.
Seit 1963 wird Paracetamol im britischen Arzneibuch, der ??, monographiert. Kurz danach wurde es auch in Arzneibücher anderer europäischer Staaten aufgenommen.
Die eigentliche Wirkweise des Stoffes war sehr lange unbekannt und wird bis heute kontrovers diskutiert. Erst zu Beginn der 1970er-Jahre fand der britische Pharmakologe John Vane heraus, dass die Wirkung von Paracetamol und anderen nichtsteroiden Schmerzmitteln auf der Hemmung der Cyclooxygenasen (COX) beruht. Für diese Entdeckung erhielt Vane 1982 gemeinsam mit Sune Bergström und Bengt Ingemar Samuelsson den Nobelpreis für Medizin.
1982 kam es in den USA zu einem Fall von Produktsabotage, durch dessen Folgen sich die zuständige Staatsbehörde Food and Drug Administration veranlasst sah, strengere Schutzvorschriften zu erlassen. Durch vergiftete Paracetamolpräparate waren sieben Patienten gestorben. Zurückgerufen wurden Präparate im Marktwert von 100 Mio. US-Dollar.
Paracetamol ist als Fertigarzneimittel zur Behandlung leichter bis mäßig starker Schmerzen und des Fiebers zugelassen. Verwendung findet es vor allem bei leichten Kopfschmerzen, leichten Zahnschmerzen, Regelschmerzen, Sonnenbrand und arthrosebedingten Gelenkschmerzen sowie bei Migräne.
Ebenfalls zur Behandlung leichter bis mäßiger Schmerzen ist Paracetamol in fixer Kombination mit Coffein (400 mg Paracetamol, 50 mg Coffein) zugelassen. Diese Kombination soll eine um das 1,3- bis 1,7-fach höhere Wirkstärke als Paracetamol allein haben und ermöglicht die Reduktion der Paracetamoldosis. Coffein verkürzt zudem die Zeit bis zum Wirkungseintritt von Paracetamol. Auch die Dreifachkombination von Paracetamol mit Acetylsalicylsäure und Coffein führt zu einer gesteigerten Wirksamkeit und wird daher von der Deutschen Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft als Mittel der ersten Wahl zur Behandlung der Migräne und des Spannungskopfschmerzes empfohlen.
In fixer Kombination mit Codein (Co-Codamol) oder Tramadol ist Paracetamol zur Behandlung mäßig starker bis starker Schmerzen zugelassen.
Da Erkältungskrankheiten mit Fieber, Glieder- und Kopfschmerzen einhergehen können, ist Paracetamol in Kombination mit weiteren Arzneistoffen wie Antihistaminika, Hustenlöser, Hustenblockern oder Vitamin C als analgetisch und antipyretisch wirksamer Bestandteil vieler sogenannter ?Grippemittel? bzw. ?Erkältungsmittel? zugelassen.
Bei einer bekannten Überempfindlichkeit gegen Paracetamol oder bei einer schweren Beeinträchtigung der Leberfunktion auf Grund eines Leberversagens mit einem Child-Pugh-Score von 9 oder höher darf Paracetamol nicht angewendet werden. Bei Patienten mit Leberversagen mit einem Child-Pugh-Score von < 9, einem Gilbert-Syndrom, chronischem Nierenversagen mit einer Kreatinin-Clearance von unter 10 ml/min oder einem chronischen Alkoholmissbrauch darf Paracetamol nur mit besonderer Vorsicht unter ärztlicher Kontrolle und gegebenenfalls einer angepassten Dosierung angewendet werden.
Bei längerer hochdosierter, nicht bestimmungsgemäßer Anwendung von Paracetamol ist die Entstehung eines medikamenteninduzierten Kopfschmerzes möglich. Nach abruptem Absetzen verschlimmern sich die Kopfschmerz- und Begleitsymptome.
Weder Reproduktionsstudien noch epidemiologische Daten geben einen Hinweis auf eine schädigende Wirkung von Paracetamol auf die Gesundheit des Fetus bzw. des Neugeborenen. Für eine Langzeitanwendung während der Schwangerschaft liegen keine ausreichenden Daten zur Abschätzung der Sicherheit vor.
Wenngleich Paracetamol in geringen Mengen in die Muttermilch übergeht, sind bei Einnahme von Paracetamol während der Stillzeit keine unerwünschten Wirkungen für den Säugling bekannt geworden.
Paracetamol kann oral, rektal oder intravenös verabreicht werden. Paracetamol wird in Abhängigkeit von Alter und Körpergewicht dosiert. Bei einer oralen Anwendung werden in der Regel 10?15 mg Paracetamol pro kg Körpergewicht als Einzeldosis und bis 60 mg/kg Körpergewicht als Tagesgesamtdosis verwendet. Dies entspricht bei Erwachsenen einer maximalen Tagesdosis 4000 mg verteilt auf vier Einzeldosen. Eine Dosisanpassung wird bei Patienten mit einer Nieren- oder Leberfunktionsstörung vorgenommen.
Probenecid hemmt die Glucuronidierung von Paracetamol und somit seine Ausscheidung. Eine Hemmung der Ausscheidung von Paracetamol kann ebenfalls nach gleichzeitiger Einnahme von Salicylamiden beobachtet werden. Alkohol und Arzneimittel, die als Induktoren des Cytochrom-P450-Enzymsystems wirken, wie beispielsweise Carbamazepin, führen zu einer verstärkten Bildung von leberschädlichen Stoffwechselprodukten (Metaboliten) des Paracetamols. Ionenaustauscher, wie beispielsweise Colestyramin, reduzieren die Aufnahme von Paracetamol. Der Eintritt der Wirkung von Paracetamol kann durch Arzneimittel, die die Magen-Darm-Tätigkeit beeinflussen, wie beispielsweise Metoclopramid, verlangsamt oder beschleunigt werden.
Paracetamol selbst beeinflusst nur in seltenen Fällen die Wirkung anderer Arzneimittel. Bei regelmäßiger Einnahme verstärkt Paracetamol die Wirkung von Gerinnungshemmern wie Phenprocoumon und Warfarin. Auch die blutbildschädigenden Nebenwirkungen von Zidovudin können bei gleichzeitiger Einnahme von Paracetamol verstärkt werden.
Paracetamol zeigt bei bestimmungsgemäßem Gebrauch nur selten bis sehr selten unerwünschte Wirkungen. Keine der auf eine Einnahme von Paracetamol zurückzuführenden Nebenwirkungen tritt häufiger als bei einem unter 1000 Patienten auf. Dazu gehören der Anstieg bestimmter Leberenzyme (Transaminasen) im Serum (Häufigkeit: 0,01?0,1 %). Sehr selten (Häufigkeit: < 0,01 %) bzw. in Einzelfällen konnten schwerwiegende Veränderungen des Blutbildes wie Thrombozytopenie (verringerte Anzahl von Blutplättchen) und Agranulozytose beobachtet werden. Ebenso selten kann es zu allergischen Reaktionen in Form von einfachem Hautausschlag oder Nesselausschlag bis hin zu einer Schockreaktion kommen. Ebenfalls mit einer Häufigkeit von unter 0,01 % kam es bei empfindlichen Personen zu einer Verkrampfung der Atemmuskulatur (Analgetika-Asthma). Bei bestimmungsgemäßer Anwendung von Paracetamol ist das Risiko einer Analgetika-Nephropathie sehr gering. Ob dieses Risiko durch eine kombinierte Anwendung mit Acetylsalicylsäure und Coffein erhöht ist, wird kontrovers diskutiert.
Große epidemiologische Studien bringen den Paracetamolkonsum insbesondere in der frühen Kindheit dosisabhängig mit einem langfristig erhöhten Asthmarisiko in Verbindung; Paracetamol konnte so als eine der möglichen Ursachen für die steigende Asthmahäufigkeit identifiziert werden.
Paracetamolüberdosierungen als Folge der Unkenntnis der maximalen Tagesdosis, Nichtbeachtung von Gegenanzeigen und Anwendungsbeschränkungen sowie in selbstschädigender, meist suizidaler Absicht sind häufig mit schweren Beeinträchtigungen der Leberfunktion verbunden. Eine Überdosierung über 150 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht, entsprechend 10 Gramm für Erwachsene, kann zu einer irreversiblen Schädigung der Leberzellen oder gar zum Leberversagen führen. Alkoholiker oder Patienten mit einer verringerten Ausscheidung von Paracetamol können schon bei einer deutlich geringeren Dosis Leberschäden erleiden. In England und Wales werden etwa 30.000 Patienten pro Jahr mit einer Paracetamolvergiftung als Folge eines Versuchs der Selbstschädigung ins Krankenhaus eingeliefert, von denen etwa 150 der Vergiftung erliegen. Eine Beschränkung der Packungsgröße von Paracetamolpräparaten zeigte nur einen beschränkten Effekt auf die Suizidhäufigkeit. Wie in Großbritannien, ist Paracetamol auch in den USA die häufigste Ursache für akutes Leberversagen, wobei etwa die Hälfte der Intoxikationen unbeabsichtigt geschehen. Auch in den urbanen Regionen Deutschlands haben Paracetamolvergiftungen die virale Hepatitis (Virushepatiden) als häufigste Ursache für akutes Leberversagen abgelöst.
Erste Symptome einer akuten Paracetamolvergiftung, die innerhalb der ersten 48 Stunden eintreten und nach etwa vier bis sechs Tagen ihren Höhepunkt erreichen, sind Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Blässe und anhaltende Unterleibsschmerzen als Zeichen einer Leberschädigung. Gleichzeitig können klinischen Werte, wie Lebertransaminasen, Laktatdehydrogenase, Bilirubinwert und Prothrombinzeit erhöht sein. Folgt keine umgehende Behandlung, so erleiden etwa 10 % der Patienten mit einer akuten Paracetamolvergiftung eine dauerhafte, schwere Leberschädigung. Etwa 10 bis 20 % dieser Patienten wiederum sterben an den Folgen eines Leberversagens. Seltener tritt akutes Nierenversagen auf. Das Risiko einer Nephropathie durch chronischen Paracetamolkonsum ist ab einer kumulativen Dosis von 1 kg signifikant erhöht. Andere leberunabhängige Symptome, die nach einer Paracetamolvergiftung beobachtet wurden, sind Herzmuskelanomalien und Pankreatitis.
Als Ursache für die Lebertoxizität von Paracetamol gilt sein Stoffwechselprodukt N-Acetyl-p-benzochinonimin (NAPQI). Die Bildung dieses leberschädigenden Metaboliten wird durch regelmäßigen Konsum von Alkohol und Arzneimitteln mit einer enzyminduzierenden Wirkung, wie beispielsweise Carbamazepin, noch verstärkt. Ein geeignetes Gegenmittel bei einer Paracetamolvergiftung ist N-Acetylcystein, das toxische Paracetamolmetabolite, wie N-Acetyl-p-benzochinonimin, unter Bildung ungiftiger Konjugate abfängt. Hierdurch kann eine Progression zur irreversiblen Leberschädigung oder zum Leberversagen verhindert werden, vorausgesetzt das Antidot wird rechtzeitig verabreicht. N-Acetylcystein gilt als wirksam, falls es innerhalb von zehn Stunden verabreicht wird. Verschiedene Behandlungsschemata empfehlen die Anwendung von etwa 150 mg/kg Körpergewicht als Bolus und eine Gesamtdosis von 300 bis 1330 mg/kg Körpergewicht verteilt über 20 bis 68 Stunden. Zu diesem Zweck steht N-Acetylcystein zur intravenösen Verabreichung als auch zur oralen Anwendung (Brausetabletten) zur Verfügung. Unmittelbar bis etwa eine Stunde nach Einnahme einer Überdosis Paracetamol kann auch Aktivkohle angewendet werden. Bei einem fortgeschrittenen akuten Leberversagen ist jedoch die Lebertransplantation die einzige verbleibende Therapieoption, welche dem Patienten noch eine Überlebenschance eröffnet.
Auf Grund der potenziell leberschädigenden Wirkung sollte Paracetamol in der Tierheilkunde mit Vorsicht eingesetzt werden. Bei Katzen und Jungtieren führt die Gabe von Paracetamol sehr schnell zu Vergiftungen mit Methämoglobinbildung, Anämie, Hämoglobinurie, Leberschädigung, Gelbsucht, Atemnot und Herzrasen, da diese den Wirkstoff nur unzureichend glucuronidieren können. Hunde vertragen den Wirkstoff zwar gut, aber die Wirkungsdauer ist sehr kurz (etwa 2 Stunden), so dass der Wirkstoff praktisch ohne sinnvolle Anwendung ist. Unter den Nutztieren ist die Anwendung von Paracetamol bei Schweinen erlaubt, wobei eine Rückstandmengenbegrenzung nicht notwendig ist (Anhang II der Verordnung 2377/90).
Anders als die Schmerzmittel Acetylsalicylsäure oder Ibuprofen besitzt Paracetamol eine lediglich unter Laborbedingungen feststellbare entzündungshemmende Wirkung und wird entsprechend nicht in die Gruppe der klassischen ?nicht-steroidalen Entzündungshemmer? (auch: nicht-steroidale Antirheumatika, NSAR; engl. non-steroidal anti-inflammatory drugs, NSAID) eingeordnet. Im Gegensatz zu den klassischen NSAR hat Paracetamol kaum Wirkung auf die periphere Cyclooxygenase. Aus diesem Grund sind die Nebenwirkungen (u. a. Magen-Darm-Ulzera) deutlich geringer ausgeprägt. Paracetamol hat auch praktisch keinen Einfluss auf die Aggregation der Blutplättchen und somit keine blutgerinnungshemmende Wirkung wie Acetylsalicylsäure.
Der genaue Wirkmechanismus von Paracetamol ist bis heute nicht bekannt. Bekannt ist, dass mehrere, kontrovers diskutierte Mechanismen zusammenspielen, und dass der schmerzstillende Effekt zu einem nicht unerheblichen Teil in Gehirn und Rückenmark zustande kommt.
Basierend auf den Entdeckungen John Vanes wurde lange Zeit angenommen, dass der schmerzstillende Effekt des Paracetamols auf die Cyclooxygenasen, die an Entzündungsreaktionen und der Schmerzentstehung beteiligte Enzyme sind, zurückzuführen ist. Die Cyclooxygenase-Enzyme sind über die Bildung von Schmerz- und Entzündungsmediatoren aus der Gruppe der Prostaglandine maßgeblich an der Schmerzweiterleitung ins Gehirn beteiligt.Olivier Boutaud, David M. Aronoff, Jacob H. Richardson, Lawrence J. Marnett, and John A. Oates: Determinants of the cellular specificity of acetaminophen as an inhibitor of prostaglandin H2 synthases, in: Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A, 2002, 99, S. 7130?7135; PMID 12011469; PDF. Mit einer Hemmung der Cyclooxygenasen konnte zwar die vergleichbare analgetische Wirkstärke von Paracetamol und saurer Nicht-Opioidanalgetika, wie beispielsweise Acetylsalicylsäure und Ibuprofen, erklärt werden, aber nicht die weitgehend fehlende antiinflammatorische Wirksamkeit und die ebenso weitgehend fehlenden gastro-intestinalen Nebenwirkungen des Paracetamols. Als Ursache für diese Unterschiede wurde eine voneinander abweichende Verteilung von Paracetamol und saurer Nicht-Opioidanalgetika in Körpergewebe angenommen, wobei Paracetamol sich gleichmäßig im Körper verteilt und saure Nicht-Opioidanalgetika sich im Sinne eines Drug Targetings beispielsweise im Magen und im entzündeten Gewebe anreichern. Eine weitere mögliche Erklärung wurde mit der Entdeckung des Cyclooxygenase-Isoenzyms COX-3, einer insbesondere in der Großhirnrinde vorkommenden Variante der COX-1, gefunden. Neueren Untersuchungen zu Folge soll eine schwach dämpfende Wirkung auf das Cyclooxygenase-Isoenzyms COX-1 und eine starke auf COX-2 in vivo für die Wirkungen von Paracetamol verantwortlich sein. Dies passt zu seiner schwachen Wirkung auf Thrombozyten (Blutplättchen).
Weitere experimentelle Daten lassen vermuten, dass Paracetamol seine Effekte über eine Aktivierung serotoninerger schmerzhemmender Mechanismen vermittelt. Insbesondere Serotonin-Rezeptoren vom Typ 5-HT3 sollen dabei eine wichtige Rolle spielen. Der schmerzhemmende Effekt wird dabei auf eine Projektion serotoninerger Neurone bis in das Rückenmark zurückgeführt. Diese Hypothese über den Mechanismus des Paracetamols zeigt Analogien zur Wirkweise von Opioiden, wie Morphin. Alternativ dazu kann ein schmerzstillender serotoninerger Effekt des Paracetamols auch als eine Folge der Hemmung der Prostaglandinfunktion interpretiert werden, da die meisten serotoninergen Neurone auch Prostanoidrezeptoren exprimieren.
Eine Wechselwirkung von Paracetamol mit dem körpereigenen Cannabinoidsystem (Endocannabinoid-System) wurde auf Grund einer zusätzlich zur analgetischen Wirkung existierenden schwachen euphorisierenden, entspannenden und beruhigenden Wirkung von Analgetika vom Anilin-Typ vermutet. In der Tat konnte eine Wechselwirkung von Paracetamol mit dem Endocannabinoidsystem in vivo nachgewiesen werden. So zeigt ein Metabolit des Paracetamols, das N-Arachidonoylphenolamin, welches insbesondere im Gehirn gebildet wird, eine antipyretische und analgetische Wirkung über eine indirekte Wirkung auf Cannabinoid-Rezeptoren. N-Arachidonoylphenolamin interagiert mit dem Vanilloid-Rezeptor TRPV1, der auf vielen, als Nozizeptoren fungierenden freien Nervenendigungen vorkommt und zusätzlich an der Regulation der Körpertemperatur beteiligt ist. Darüber hinaus hemmt dieser Paracetamolmetabolit die zelluläre Wiederaufnahme des Anandamid und führt somit zu einer Konzentrationserhöhung dieses endogenen Cannabinoids.
Neben einer Interaktion von Paracetamol mit Cyclooxygenasen, dem Serotonin-System und dem Endocannabinoidsystem wird ein hemmender Einfluss des Paracetamols auf eine durch Glutamat oder Substanz P verursachte Hyperalgesie als Ursache für seine analgetische Wirkung diskutiert. Zusätzlich ist Paracetamol an der Hemmung der Freisetzung des Botenstoffs Stickstoffmonoxid (NO) beteiligt.
Die maximale Wirkkonzentration von Paracetamol wird nach etwa 30 bis 60 Minuten nach oraler Gabe erreicht. Bei rektaler Anwendung, bei der eine Bioverfügbarkeit von 68 bis 88 % erreicht wird, werden maximale Plasmakonzentrationen nach circa 3 bis 4 Stunden erreicht. Die Plasmahalbwertszeit liegt bei 1 bis 4 Stunden. Bei Frühgeborenen kann sie auf Grund eines noch nicht voll entwickelten Stoffwechselsystems deutlich darüber liegen.
Der Abbau von Paracetamol erfolgt vor allem in der Leber, wo der größte Teil des Stoffes im Rahmen einer Phase-II-Reaktion durch Verbindung mit Sulfat oder Glucuronsäure inaktiviert (Glucuronidierung) und dann über die Nieren ausgeschieden wird.
Die toxische Wirkung lässt sich auf ein in kleinen Mengen entstehendes Produkt zurückführen, das insbesondere über den Abbau über das Cytochrom-P450-Enzymsystem entsteht, das N-Acetyl-p-benzochinonimin. An der Bildung dieses sehr reaktionsfähigen Metabolits ist insbesondere das Cytochrom-P450-Isoenzym CYP 2E1, ferner aber auch CYP 1A2 und CYP 3A4 beteiligt. Normalerweise wird N-Acetyl-p-benzochinonimin sofort über die Reaktion mit dem Glutathion (GSH) abgefangen und das entstandene Produkt über die Niere ausgeschieden. Glutathion steht jedoch nur in begrenztem Umfang in der Leber zur Verfügung und seine Nachbildung kann nicht genügend gesteigert werden. Daher erschöpft sich bei der akuten Überdosierung mit Paracetamol der Glutathion-Anteil. Das N-Acetyl-p-benzochinonimin reagiert nun mit Struktur- und Funktionsproteinen der Leberzellen, was zur Leberzellnekrose und klinischem Leberversagen führen kann. Ein chronischer Alkoholkonsum und enzyminduzierende Arzneistoffe verstärken die Verstoffwechselung von Paracetamol über das Cytochrom-P450-Enzymsystem zu N-Acetyl-p-benzochinonimin und verstärken somit die Toxizität von Paracetamol.
Ein alternativer Abbauweg des Paracetamols unter Beteiligung Cytochrom-P450-Isoenzyme CYP2A6 und CYP2B1 führt zu 3-Hydroxyparacetamol. Dieser Metabolit, der nach Glucuronidierung ausgeschieden wird, zeigt eine deutlich niedrigere Toxizität als N-Acetyl-p-benzochinonimin.
Paracetamol ist ein Derivat des para-Aminophenols, also zugleich ein Phenol (N-Acetyl-p-aminophenol) und ein Derivat des Anilins (p-Hydroxyacetanilid). Daneben lässt sich Paracetamol auch als Acetamid, also als Amid der Essigsäure auffassen, woraus sich der nach IUPAC-Regularien vergebene Name N-(4-Hydroxyphenyl)acetamid ergibt.
Auf Grund der enthaltenen Anilinstruktur wird Paracetamol wie auch Acetanilid, Phenacetin und Propacetamol der Schmerzmittelgruppe der Anilinderivate zugerechnet. Acetanilid, Phenacetin und Propacetamol können dabei als Vorstufen (Prodrugs) angesehen werden, die im Organismus zu Paracetamol umgewandelt werden.
Acetanilid | Paracetamol | Phenacetin | Propacetamol |
Paracetamol ist ein weißer, kristalliner Feststoff, der in mindestens zwei verschiedenen Modifikationen vorkommt. Diese Polymorphie ist von pharmazeutischer Bedeutung und hat Auswirkungen auf die Verpressbarkeit des Arzneistoffs. Orthorhombisches Paracetamol zeigt dabei eine der thermodynamisch stabilereren monoklinen Modifikation überlegene Verpressbarkeit. Paracetamol ist in beiden Modifikationen in Alkoholen gut löslich, in kaltem Wasser dagegen nur mäßig (14 g/L bei 20 °C), wohl aber in kochendem Wasser. Paracetamol hat eine Dichte von 1,293 Gramm pro Kubikzentimeter. Es ist als Phenol schwach sauer. Der pH-Wert einer gesättigten, wässrigen Lösung liegt bei etwa sechs. Paracetamol hat einen charakteristischen, leicht bitteren Geschmack.
Für die Herstellung von Paracetamol wurden verschiedene Synthesewege beschrieben. Das klassische Verfahren bedient sich der N-Acetylierung von p-Aminophenol. Dieser Grundstoff ist herstellbar durch Nitrierung und nachfolgender Reduktion von Phenol oder alternativ ausgehend von Anilin oder p-Chlorphenol. Zur Acetylierung des Aminophenols lässt man es mit überschüssigem Essigsäureanhydrid reagieren, wobei unter Abspaltung von Essigsäure das Endprodukt wie auch N,O-diacetyliertes Nebenprodukt entsteht. Letzteres hydrolisiert im wässrigen Medium oder im schwach alkalisierten Milieu aufgrund der höheren Hydrolyseempfindlichkeit der Ester- gegenüber der Amidbindung selektiv zu Paracetamol.
Ein Verfahren der industriellen Großproduktion geht von Phenol aus und umfasst drei Schritte. Phenol wird mit Acetanhydrid in Gegenwart von Flusssäure in para-Stellung zu p-Hydoxyacetophenon acetyliert. Alternativ lässt sich p-Hydoxyacetophenon auch aus Phenylacetat bei niedriger Temperatur und mit Aluminiumchlorid als Lewis-Säure gewinnen (Fries-Umlagerung). Das p-Hydoxyacetophenon kondensiert man anschließend mit Hydroxylamin zum Oxim. Dieses lagert sich in Gegenwart von Thionylchlorid gemäß Beckmann zu Paracetamol um.
Eine jüngere Variante ist die reduzierende Amidierung von p-Nitrophenol mit Thioessigsäure.
Nach dem Europäischen Arzneibuch kann Paracetamol mit Hilfe chemischer und instrumenteller analytischer Verfahren identifiziert werden. So kann Paracetamol durch Oxidation mit Kaliumdichromat unter Bildung eines blauen Farbstoffs nachgewiesen werden. Die Acetylgruppe lässt sich nach Hydrolyse mit Hilfe von Lanthannitrat und Iod nachweisen. Alternativ dazu lässt sich Paracetamol nach Hydrolyse mit Hilfe von Formaldehyd durch eine positive Marquis-Reaktion nachweisen. Das Hydrolyseprodukt gibt auch einen positiven Nachweis auf primäre aromatische Amine. Die Phenolstruktur kann auch mit Eisen(III)-chlorid identifiziert werden, wobei sich ein blauer, säurelabiler Komplex bildet.
Die Gehaltsbestimmung von Paracetamol erfolgt nach dem Europäischen Arzneibuch nach hydrolytischer Spaltung des Paracetamols zu p-Aminophenol klassisch als oxidimetrische Titration mit Hilfe der Cerimetrie. Alternative Gehaltsbestimmungsmethoden schließen instrumentelle Verfahren, wie HPLC ein. Für die quantitative Bestimmung von Paracetamol im Blutplasma oder im Serum stehen neben HPLC- und Gaschromatographie-Verfahren auch colorimetrische Assays und Immunassays zur Verfügung.
Paracetamol zählt weltweit zu den meistverkauften Arzneimitteln. Das Monopräparat Paracetamol-ratiopharm war mit über 20 Millionen Packungseinheiten im Jahr 2008 das in Deutschland am zweithäufigsten gekaufte Arzneimittel. Auch das Kombinationspräparat Thomapyrin (12,4 Millionen Packungseinheiten im Jahr 2008) findet sich in der Top 10 der meistgekauften Arzneimittel wieder. Der jährliche Gesamtumsatz von Paracetamol in Deutschland wird auf etwa 80 Millionen Packungen mit einem Marktwert von etwa 145 Millionen Euro geschätzt.
Die meisten Paracetamol-Präparate unterliegen nicht der Verschreibungspflicht. Kombinationspräparate mit Codein, Metoclopramid und Tramadol sowie paracetamolhaltige Infusionslösungen unterliegen in Deutschland der Verschreibungspflicht. Seit April 2009 wurden in Deutschland zusätzlich alle Paracetamolpräparate mit einer Wirkstoffmenge von über 10 g pro Packungseinheit (ausgenommen Zäpfchen) der Verschreibungspflicht unterstellt. Mit dieser Maßnahme soll versucht werden, die Häufigkeit durch missbräuchliche Anwendung entstandener Paracetamolvergiftungen zu reduzieren. Ähnliche Beschränkungen in Großbritannien führten zu einem geringfügigen Rückgang paracetamolbedingter Todesfälle.
Acetalgin (CH), ben-u-ron (D, CH), Captin (D), Contac (D), Contra-Schmerz (CH), Dafalgan (CH), Dolprone (CH), Enelfa Dr. Henk (D), GRIPPEX (D), Mexalen (A), Mexa-Vit C (A), Panadol (CH), Parapaed (D), Perfalgan (D), RubieMol (A), Tylenol (USA) sowie zahlreiche Generika.
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