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Die Pornografie und Sexsucht haben durch das Medium Internet eine neue Dimension erhalten. Erstmals im deutschsprachigen Raum widmet sich im April eine wissenschaftliche Fachtagung der Internet-Sexsucht, wobei der Schwerpunkt auf der Behandlung von Betroffenen liegt.
"Erst wenige Psychotherapeuten widmen sich dieser Problematik, die vor allem Männer betrifft. Die Tagung möchte aber nicht den moralischen Zeigefinger heben, sondern das Leiden derer lindern, die Hilfe suchen", betont der Tagungsleiter Raphael Bonelli.
Pornokonsum macht sich selbstständig
Das Internet hat die Möglichkeiten der Pornografie entscheidend erweitert. "Neben Bildern und Filmen erlaubt dasselbe Medium auch sexuelle Begegnungen realer Personen, etwa im Cybersex oder Chat", so der Wiener Psychiater, Neurologe und Psychotherapeut. Der Online-Zugang sei billig und auch diskret, da kein Zeitschriftenverkäufer mehr zwischengeschaltet ist. Als Folge seien die Inhalte devianter als bei gedruckter Pornografie. "Nicht immer, aber leider sehr häufig verlangen die User immer intensivere Reize und wechseln so von Softporno über Hardcore zu Gewalt- und schließlich Vergewaltigungspornos."
Niemand steigt laut Bonelli auf der letzten Stufe ein. "Werden etwa Jugendliche durch Peers eingeführt, empfinden sie die Inhalte zunächst als abstoßend oder unmenschlich. Mit der Zeit erwacht jedoch das Interesse und sie sehen sich um, was es sonst noch gibt. Die Gewöhnung überwindet die Scheu, die bei gesunden Menschen anfangs noch einen natürlichen Schutzreflex bietet, und man greift zu Härterem." Die Sucht beginne dort, wo die eigene Kontrolle verschwindet und der Drang selbstständig wird. "Viele Männer können kaum mehr alleine vor einem Computer sitzen, ohne auf einschlägigen Seiten zu suchen."
Leiden im Geheimen
Vorsichtige Schätzungen sprechen von 400.000 Internet-Sexsüchtigen in Deutschland und 40.000 in Österreich. Neun Zehntel davon sind Männer. Als häufige Motive sieht Bonelli fehlende sexuelle Befriedigung, Einsamkeit und fehlender Lebenssinn, die Sucht verstärke jedoch das Leiden. Laut einer Studie haben Nutzer von Erotik-Angeboten im Web alarmierend oft Depressionen, Angstgefühle und Stress. "Keiner ist stolz darauf, täglich stundenlang Online-Pornos zu konsumieren und viele leiden über Jahre in Anonymität", so Bonelli. Besonders gelte das für Pädophile, die oft ebenfalls im Internet nach Befriedigung suchen. "Kinderpornographie dürfte bis zu drei Prozent der Internetpornographie ausmachen, also etwa 100.000 Websites weltweit", so der Experte.
Die wenig realistischen Vorbilder von stets potenten Männern und immer bereiten Frauen verstärken zudem oft die sexuelle Unzufriedenheit. "Sexualität ist eine Dimension des Menschen, die sich bei exzessivem Ausleben ohne Gegenüber zunehmend verirrt. So lässt der ständige Konsum von Pornografie die Zufriedenheit mit der eigenen Sexualität sinken. Viele Online-Sexsüchtige sind weniger aufmerksam für den Partner und das soziale Umfeld und werden auch weniger beziehungsfähig. Denn statt mit anderen zu kommunizieren, kreisen sie im Leben zunehmend um sich selbst und um die eigene Befriedigung", analysiert der Experte.
Fähigkeit zur Beziehung wieder herstellen
Wer den Schritt zum Therapeuten schafft, hat gute Chancen auf Heilung. "Es hilft schon, sich vor jemandem endlich vollständig öffnen zu können und Verständnis zu erfahren. Gegenüber der Partnerin ist das meist nicht der Fall." Dies sei verständlich, so Bonelli, setze es doch jede zweite Frau dem Fremdgehen gleich, wenn der Partner ständig Bilder nackter Frauen konsumiert. In der Therapie - Bonelli ist systemischer Psychotherapeut - arbeite man oft an der Beziehungsfähigkeit. So soll der Patient neue Möglichkeiten entfalten, um keine Ersatzbefriedigung mehr zu brauchen. Erste Hilfe können auch Selbsthilfegruppen geben, wie ehemals Internet-Sexsüchtige auf der Tagung berichten werden.
Besonders sensibel für pornografische Inhalte des Internets sind Kinder. "Per Mausklick gibt es heute im Kinderzimmer Zugang zu brutalisierter Sexualität. Welche Folgen das langfristig hat, ist noch kaum abzuschätzen", so Bonelli. Den Eltern rät der Psychotherapeut, den Computer allgemein zugänglich im Wohnzimmer zu platzieren, viel Austausch mit den Kindern zu pflegen und sie rechtzeitig aufzuklären, bevor sie entsprechende Informationen selbst besorgen. Filter vor Gewalt oder Pornos seien hilfreich, aber kein absoluter Schutz, da sie leicht zu umgehen sind. "Die Therapie verwendet meist keine technischen Sperren, da der eigene Antrieb zum Aufhören wichtig ist", so Bonelli.
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