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Große Aufmerksamkeit erregte gestern die Einigung einer Arbeitsgruppe der Regierungskoalition in Berlin auf einen Kompromissvorschlag zum Nichtraucherschutz. Die Einigung sieht vor, den Schutz von nichtrauchenden, aber unter dem Zigarettenrauch anderer leidenden ?Passivrauchern? durch eine Reihe von Rauchverboten in der Öffentlichkeit zu verbessern. Dazu gehört das Verbot des Rauchens in öffentlichen Gebäuden wie Schulen, Behörden, Theatern, Kindergärten und Sportstätten. Auch in öffentlichen Verkehrsmitteln soll das Rauchen nur noch mit Einschränkungen gestattet sein. Die Einschränkung besagt, dass geraucht werden darf, wenn besondere Räume für Raucher vorhanden sind, die vom Nichtraucherbereich abgetrennt sind.
Die Einigung enthält außerdem eine weitere Einschränkung, die den Kompromisscharakter des Koalitionsvorschlages deutlich macht und bereits heute für Diskussionsstoff sorgte: In ?Schankwirtschaften? ? der Volksmund nennt diese Örtlichkeiten ?Kneipen? ? soll weiterhin geraucht werden dürfen. Die Ausnahme gilt auch für Bierzelte, Bars, Diskotheken und Nachtclubs.
Als weitere Maßnahme, insbesondere zum Schutz der Jugendlichen, soll die Schwelle vom Nichtrauchen zum Rauchen durch eine Anhebung der Altersgrenze zum Erwerb von Tabakwaren angehoben werden. Diese Altersgrenze soll künftig bei 18 Jahren liegen, bisher galt ein Mindestalter von 16 Jahren. Laut Mikrozensus 2005 rauchen in Deutschland 23 Prozent aller Erwachsenen regelmäßig, weitere vier Prozent bezeichnen sich als ?Gelegenheitsraucher?. Nach Angaben der Deutschen Krebsgesellschaft haben 82 Prozent der erwachsenen Raucher vor ihrem 20. Lebensjahr mit dem Rauchen angefangen.
Die Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag lehnten den Koalitionskompromiss aus unterschiedlichen Gründen ab. Die FDP hatte sich zuletzt mit einem FDP-Bundestagsfraktionsbeschluss vom 2. November 2006 positioniert. Dort beklagte sie, die Diskussion um das Rauchverbot habe ?fast missionarische Züge? angenommen und die Bereitschaft steige mehr und mehr, den Menschen vorzuschreiben, wie sie zu leben hätten. Die Bundestagsfraktion sei grundsätzlich der Meinung, dass Eigenverantwortlichkeit, Freiwilligkeit und Selbstverpflichtung gesetzgeberischen Maßnahmen vorzuziehen sind. Einrichtungen von Kinder- und Jugendlichen will aber auch die FDP gesetzlich schützen. In der aktuellen Diskussion meldete sich der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Christoph Meyer zu Wort. Laut dem Tagesspiegel habe er sich dahingehend geäußert, ein generelles Rauchverbot bedeute für das Unternehmertum eine Einschränkung.
Die Grüne Jugend hat auf der zurzeit laufenden 26. Ordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz einen Antrag gestellt, in dem sie sich für die ?Förderung von Drogenmündigkeit? einsetzt. Demnach soll den Konsumenten die Entscheidung über Konsum oder Abstinenz gelassen werden. In dem umfangreichen Antrag spricht sie sich aber auch für Verbesserungen beim Passivraucherschutz aus. ?Technische und organisatorische Maßnahmen? seien da am sinnvollsten. Im Gegensatz zu ihrer Jugendorganisation sprach die Bundestagsfraktion der Grünen von eínem ?Kniefall vor dem Verband der Zigarettenindustrie?. Sie kritisierten, dass in Kneipen weiter geraucht werden darf, so zumindest Birgitt Bender und Ulrike Höfken. In der Gastronomie arbeiteten 8.000 schwangere und stillende Frauen, die so fahrlässig in ihrer Gesundheit gefährdet würden.
In einer Pressemitteilung begrüßte Martina Bunge (Linkspartei), Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Deutschen Bundestag, den Gesetzesentwurf weitestgehend. Dabei kritisierte sie jedoch die Ausnahmen, die im Entwurf zum Tragen kommen sollen. Dies ließe befürchten, dass die Union die Tabaklobby unterstütze, so Bunge.
Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) sieht ?in vielen Punkten noch Gesprächsbedarf?, so die Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges. Demnach sei der vorgelegte Kompromiss besser als ein generelles Rauchverbot. Der Pressemitteilung ist weiter zu entnehmen, dass sich der Verband prinzipiell mit einer gesetzlichen Regelung des Nichtraucherschutzes abgefunden hat. ?Der DEHOGA wird sich weiterhin konstruktiv in die Debatte einbringen?, heißt es dort. Auf der Homepage des Verbands der Zigarettenindustrie (vdc) war bis Freitagabend 20:00 Uhr keine Stellungnahme ersichtlich. Auch beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) findet sich zur aktuellen Diskussion keine Veröffentlichung. Die Deutsche Krebshilfe erneuerte am 25. Oktober ihre Forderung nach einem Rauchverbot in der Gastronomie. In einer Pressemitteilung heißt es: ?Länder wie Italien oder Irland zeigen uns, wie gut solche Rauchverbote von der Bevölkerung angenommen werden.? Die Deutsche Krebsgesellschaft findet zum Gesetzentwurf sehr harte Worte. In ihrer Pressemitteilung bezeichnet sie die Vorstellungen der Bundesregierung als ?Farce?. In der Unterüberschrift heißt es sogar: ?Entscheidungsträgheit der Politik kostet Menschenleben?.
Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer, kritisiert an dem Koalitionskompromiss vor allem die fehlende Berücksichtigung der schutzwürdigen Belange der Arbeitskräfte, die in Kneipen, Diskos, Bierzelten und so weiter arbeiten, da diese Bereiche ja vom Nichtraucherschutz ausgenommen würden. Er forderte ein Rauchverbot in allen Gaststätten. Eine Mitwirkende der Arbeitsgruppe, Annette Faße (SPD), die den Koalitionskompromiss erarbeitete, gestand ein, dass eine arbeitsschutzrechtliche Argumentation einen Kompromiss mit der CDU unmöglich gemacht hätte.
Neben dem bereits erwähnten Irland, das als erstes europäisches Land ein umfassendes Rauchverbot erließ, gelten auch in anderen europäischen Ländern bereits jetzt weitergehende gesetzliche Regelungen zum Nichtraucherschutz als in dem Koalitionskompromiss vorgesehen sind. In Finnland, Irland, Italien, Spanien, Norwegen, Schottland, Schweden ist auch in Kneipen das Rauchen verboten. In Luxemburg ist das Rauchen in Restaurants ganz verboten und in Kneipen zu verschiedenen Uhrzeiten, wenn kleine Malzeiten angeboten werden. Ausnahme sind Restaurants mit speziellen Raucherabteilen, die über eigene Rauchabzugsvorrichtungen verfügen müssen.
Von Interesse für die Diskussion in Deutschland dürfte auch das Ergebnis von Untersuchungen sein, die in Irland nach der Einführung des Rauchverbots in Kneipen durchgeführt wurde. Im Auftrag der Tabak-Kontroll-Behörde wurden etwa 100 wissenschaftlichen Studien zur Frage der Auswirkungen des Rauchverbots auf Umsatz und Zahl von Arbeitsplätzen im Gastronomiebereich analysiert. Das für manchen vielleicht überraschende Ergebnis: In irischen Restaurants, Bars und Pubs hat sich die Umsatzsituation im Vergleich zur Situation ohne Rauchverbot eindeutig verbessert. Die Zahl der Beschäftigten sank zunächst, konnte sich danach jedoch wieder stabilisieren und stieg dann sogar an.
Befürworter eines uneingeschränkten Rauchverbots auch in Kneipen, Diskos, Bierzelten und so weiter können sich auf Studien stützen, die das gesundheitliche Gefährdungspotential in solchen Örtlichkeiten untersucht haben, in denen das Rauchen ohne Einschränkungen erlaubt war. In Studien, die in Bayern durchgeführt wurden, konnten zwischen 30 und 220 Mikrogramm Nikotin pro Kubikmeter Raumluft gemessen werden. Als gesundheitsschädlich gelten nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits Konzentrationen ab zehn Mikrogramm pro Kubikmeter. Als weitere Parameter wurden auch die Feinstaubbelastung sowie die Konzentrationen an Polyzyklischen Aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) erfasst. Die Feinstaubbelastung lag um ein 50-faches höher als in rauchfreien Gaststätten. Feinstäube wirken sich nicht nur auf die Bronchien negativ aus, sondern belasten auch Herz und Kreislauf sowie das Immunsystem. Die PAK-Werte liegen 180-fach höher als in den entsprechenden Räumlichkeiten für Nichtraucher. Diese Kohlenwasserstoffe werden für Krebs mitverantwortlich gemacht.
Dieser Text wurde unter CC-BY-2.5-Lizenz veröffentlicht.
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