Wenn die tägliche Medizin zur Sucht wird

In Deutschland sind nach Schätzungen der Drogenbeauftragten der Bundesregierung derzeit 1,4 bis 1,9 Millionen Menschen medikamentenabhängig. Das Magazin Reader's Digest widmet sich ausführlich diesem Problem, zeigt die Risiken und Nebenwirkungen auf und nennt Adressen, bei denen Betroffene eine Beratung erhalten.

Experten wie Ernst Pallenbach, Fachapotheker für Klinische Pharmazie aus Villingen-Schwenningen, warnen davor, die Folgen einer Medikamentenabhängigkeit zu unterschätzen: "Wenn von Sucht und Abhängigkeit die Rede ist, denken die meisten Menschen an Drogen oder Alkohol." Dabei gebe es aktuellen Schätzungen zufolge zehnmal mehr Arzneimittel- als Drogenabhängige.

Was Patienten als wichtig und richtig zur Schmerzlinderung empfinden, kann leicht und schleichend zu einer gefährlichen Gewöhnung führen. Nach Auffassung von Fachleuten können fünf bis sechs Prozent der häufig verordneten Arzneimittel süchtig machen, wenn sie zu lange eingenommen werden. Demnach beginnt im Körper von Schmerzmittelpatienten bereits nach vier bis sechs Wochen dieser Gewöhnungsprozess. In der Folge erhöht der Patient die Dosis oder wechselt das Medikament, um die Wirkung zu erhalten.

Bei Beruhigungsmitteln kann die jahrelange Einnahme ebenfalls zur Abhängigkeit führen. Während bei Schmerzmitteln mit der Zeit zunehmend Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Atembeschwerden und Koliken registriert werden, sind es bei Beruhigungsmitteln vor allem Gedächtnis- und Wahrnehmungsstörungen, Kopfschmerzen und Muskelschwäche.

"Jedem, der solche Mittel einnimmt, sollte klar sein, dass nicht nur Missbrauch und Überdosierung gefährlich sind", warnt Gerd Glaeske, Pharmazeut und Professor am Bremer Zentrum für Sozialpolitik: "Auch verschiedene Präparate gleichzeitig zu nehmen, kann tödlich enden, denn die Wechselwirkungen sind für Laien kaum vorhersehbar, insbesondere zusammen mit Alkohol."

Nach aktuellen Statistiken sterben in Österreich jährlich zwischen 1600 und 2400 Menschen an einer fehlerhaften Medikamenteneinnahme. "Etwa 30 Prozent sterben an Überdosierungen, 20 Prozent durch unbeabsichtigte Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und 50 Prozent durch chronische Schäden", sagt Professor Reinhard Haller, Suchtexperte und Chefarzt der Stiftung Maria Ebene in Frastanz.

In Deutschland wird die Zahl der Todesfälle durch Medikamenteneinnahme bisher nicht genau erfasst. Experten wie Dr. Ulrich Hagemann, Leiter der Abteilung Arzneimittelsicherheit des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, betonen aber: "Auch hierzulande gibt es jährlich bestimmt einige tausend Fälle von Nebenwirkungen, die tödlich verlaufen."

Menschen, die verunsichert sind, rät Horst Baumeister, Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Psychosomatischen Fachklinik Münchwies in Neukirchen, zu einer Art Selbstkontrolle. "Wer regelmäßig Medikamente schluckt, sollte auf jeden Fall eine schriftliche Übersicht erstellen, welche Mittel er wie oft und in welcher Dosierung einnimmt." Diese Liste, die auch frei verkäufliche Arzneien enthalten sollte, sollte dem Arzt vorgelegt werden, der die Abwägung zwischen Nutzen und Risiken eines Medikaments sowie Dosis und Einnahmedauer treffen muss.

Artikel vom 30. November 2010

 

Navigation

Pfad: Startseite  >  Sucht  >  Stoffabhängige Sucht  >  Medikamentensucht
Suchformular

Themen

Unterstütze uns

Dieses Informationsangebot benötigt Zeit und Geld, um ausgebaut und betrieben zu werden. Spende jetzt 5 €, 10 € oder wieviel Du auch aufwenden magst, um Suchtmittel.de zu erhalten!
Zur Spendenseite...