Entwicklung eines Medikaments kostet eine Milliarde Euro

700 Medikamente werden in Europa jährlich neu zugelassen, 200 davon ausschließlich in einzelnen Ländern. In jedem davon stecken mindestens zehn Jahre Entwicklungszeit und Kosten von einer Milliarde Euro, die es vorzufinanzieren gilt.

Was dabei abläuft, veranschaulichten Grundlagenforscher, Pharmakologen, Kliniker und Vertreter der Pharmaindustrie bei einem Hintergrundgespräch in Wien auf Einladung des Pharma Marketing Club Austria. Deutlich wurden dabei auch, mit welchen ethischen Problemen die Forschung zu kämpfen hat.

Am Anfang steht die pharmakologische Grundlagenforschung, erklärt Heinrich Kovar vom Forschungsinstitut für krebskranke Kinder am St. Anna-Kinderspital. "Man sucht dabei neue Zielmoleküle der Krankheit, sogenannte Targets, die Chance auf spezifisches Einwirken bieten", so der Experte. "Konservativen Schätzungen zufolge gibt mindestens 1.000 neue, noch nicht für die Therapie erschlossene Targets", unterstreicht Markus Müller, Vorstand der Wiener Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie.

Tests an Tier und Mensch

Ist das Zielmolekül bestimmt, was zwei bis vier Jahre in Anspruch nimmt, beginnt die etwa ein- bis zweijährige vorklinische Entwicklung. Dazu werden aus einer riesigen Bibliothek die Substanzen chemisch bestimmt, die sich am besten an das Molekül binden, ehe man am Computer die optimale biologische Passform eines Medikaments auf das Molekül ermittelt. Es folgen streng reglementierte Kurz- und Langzeitversuche an Tieren, die sicherstellen müssen, dass der Test am Menschen gerechtfertigt ist.

"Für die Dosis der Erstanwendung beim Menschen gibt es interessanterweise keine Gesetze. Man beginnt meist mit ein Zehntel des Schwellwerts von Tieren und tatstet sich langsam nach vorne", berichtet Müller. Hier beginnt bereits die klinische Entwicklung, die bei Erfolg in die Marktzulassung mündet und sechs bis acht Jahre dauert. Ermittelt wird zunächst die Verteilung der Substanz im Körper, die Nebenwirkung beim gesunden Menschen, die Wirkung und Dosierung am Kranken und der Vergleich mit Placebo bzw. existierenden Präparaten.

Zu wenig Frauen als Versuchspersonen

Lücken hat die Arzneimittelprüfung weiterhin, obwohl sie so reglementiert ist, betont die Gender-Medizinerin Alexandra Kautzky-Willer von der Wiener Uniklinik für Innere Medizin. So sind weibliche Testpersonen besonders in der Anfangsphase stark unterrepräsentiert und sogar in den Tierversuchen gibt es mehr Mäuseriche.

Folge ist, dass acht von zehn Medikamenten Nebenwirkungen bei Frauen auslösen, dass die Wirkungen bei Schwangeren kaum erforscht ist und besonders bei ältere Frauen, die den höchsten Medikamentenkonsum aufweisen, Probleme auftreten.

Vierte Hürde ist das Geld

In der etwa einjährigen Marktzulassung, die EU-weit oder auf Staaten begrenzt erfolgt, prüfen Behörden die Untersuchungsdaten und stellen teils Forderungen an weitere Tests. "Dann muss erst mit den Krankenkassen über die Erstattung verhandelt werden", berichtet Wolfgang Bonitz, Leiter der Abteilung Medizin von Novartis Pharma Österreich. Endpunkt-Studien nach der Markteinführung verzeichnen schließlich bei großen Patientengruppen Langzeitfolgen. Die Kosten und Dauer der Medikamentenentwicklung sind seit der Jahrtausendwende deutlich gestiegen. "Strengere Vorgaben erfordern, dass heute 10.000 Personen statt vorher 2.500 klinisch getestet werden müssen", so Bonitz.

Mit deutlich weniger Entwicklungskosten kommen Labors in Entwicklungs- und Schwellenländern aus, haben kanadische Forscher unlängst gezeigt. Bestehen hier auch noch Wissensrückstände, könnte dieses Potenzial in Zukunft stärker genutzt werden, so Bonitz. "Während in Europa und den USA Testpersonen in ihrem Leben bereits eine Vielzahl von Medikamenten erhalten haben, gibt es in Ländern wie China oder Indien noch viele unbehandelten Patienten, die andere Testergebnisse liefern." Zentrale Stärke der Industrieländer sei auch in Zukunft die bestehende hochtechnologisierte Infrastruktur.

Artikel vom 18. Juni 2010

 

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