Körpereigene Cannabinoide bewältigen Angst

Beim Abklingen von Angstreaktionen kommt körpereigenen Substanzen, so genannten Endocannabinoiden, eine maßgebliche Rolle zu. Forscher des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie und des Cosiglio Nazionale delle Ricerche in Neapel konnten an Mäusemutanten nachweisen, dass der Cannabinoid-Rezeptor für das Verblassen unangenehmer Erlebnisse wichtig ist.

Fehlte der Rezeptor, klang die durch einen unangenehmen akustischen Reiz ausgelöste Angstreaktion deutlich langsamer ab als bei den Kontrolltieren. Die Forscher hoffen, dass sich durch die Erkenntnisse neue therapeutische Ansätze für die Behandlung von Phobien und posttraumatischen Stresserkrankungen sowie gewissen chronischen Schmerzzuständen ergeben. Der Nachweis der Allgemeingültigkeit dieser Ergebnisse für andere Abneigung auslösende Situationen steht aber noch aus.

Das Forscherteam um Beat Lutz untersuchte den Einfluss des endogenen Cannabinoid-Systems an so genannten Knockout-Mäusen, denen der Cannabinoid-Rezeptor Typ 1 (CB1-Rezeptor) fehlte und somit die Signalübertragung durch die Endocannabinoide im Gehirn unterbunden wurde. Im Verhaltensexperiment wurden die Nager trainiert, ein akustisches Signal (neutraler Stimulus) mit einem leichten Elektroschock (unangenehmer Reiz) in Verbindung zu bringen. Bei erneuter Präsentation des Tons an darauffolgenden Tagen zeigten die Mäuse eine deutliche Angstreaktion, die vor allem durch ein Körperstarre gekennzeichnet war. Dauerte der Ton an, der elektrische Schlag erfolgte aber nicht, erholten sich normale Mäuse bald wieder von ihrer Angststarre. Mäuse ohne CB1-Rezeptor verblieben hingegen viel länger im Zustand der Starre, schreiben die Forscher im Fachblatt Nature.

Nach elf Tagen nahm bei Kontrollmäusen die Angstreaktion ständig ab, bei Knockout-Tiere dagegen nicht. CB1-defiziente Tiere konnten die mit dem Ton verknüpften Erinnerungen nicht "vergessen". Offensichtlich, so die Forscher, verschlechtert sich durch das Fehlen des CB1-Rezeptors vor allem die Anpassungsfähigkeit der Tiere an potenziell bedrohliche Reize.

Auch das menschliche Gehirn besitzt einen Cannabinoid-Rezeptor Typ 1 (CB1). Es handelt sich um einen Rezeptor für Tetrahydrocannabinol, kurz THC, die aktive Substanz in Cannabis sativa, geläufiger als Marihuana und Haschisch. CB1-Rezeptoren sind in einer Vielzahl von Hirnregionen in großer Mengen vorhanden. Zu den Hirnregionen zählt auch die Amygdala (Mandelkern), die entscheidend in kognitive und emotionale Prozesse einbezogen ist. Aus Humanstudien ist bekannt, dass die Amygdala bei der Präsentation von angst-auslösenden Reizen aktiviert ist. Währen diese Aktivität normalerweise wieder rasch abnimmt, bleibt bei Phobikern der Durchblutungsgrad des Mandelkern-Komplexes erhöht. Über die Mechanismen, warum sich Phobiker in bestimmten Situationen an bedrohliche Situationen nicht anpassen können und es zu einem unkontrolliertem Überschießen der ursprünglichen Alarmreaktionen , die in eine Panikattacke münden, kommt, ist bislang noch wenig bekannt.

Artikel vom 1. August 2002

 

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