Cannabis gegen Schmerzen vor dem Durchbruch

Anlässlich der 6. Österreichischen Schmerzwochen der Österreichischen Schmerzgesellschaft hat der Schmerzexperte Hans-Georg Kress, Leiter der Universitätsklinik für Anästhesie und Allgemeine Intensivmedizin am AKH Wien erneut die Bedeutung der pflanzlichen Cannabinoide in der Schmerztherapie hervorgehoben. Auch international sei in die Diskussion um die Verwendung dieser Substanzen in der Schmerztherapie Bewegung gekommen. Es gebe positive Signale aus der Schweiz und auch aus Italien.

Die italienische Regierung will Cannabis zu therapeutischen Zwecken legalisieren und dessen Verwendung für Menschen mit chronischen Schmerzen regeln. Die Schweizerische Multiple Sklerose-Gesellschaft begrüßte erst vor kurzem ausdrücklich den Vorschlag der nationalrätlichen Gesundheitskommission, Cannabis für medizinisch-therapeutische Zwecke zu legalisieren, berichtet Kress im pressetext-Interview. "Es ist allerdings anzumerken, dass es sich bei den Präparaten nicht um Cannabis, also Marihuana oder Haschisch handelt. Diese bleiben auch weiterhin nicht verschreibbar und auch nicht verkehrsfähig", betont der Mediziner. "In Österreich erlaubt und verfügbar sind derzeit nur Cannabinoid-Einzelsubstanzen wie das delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) sowie ein synthetisches Derivat."

"Bewährt haben sich nach Evidenz-basierten Untersuchungen Anwendungen bei Krebs- und Palliativpatienten sowie bei anderen, nicht-palliativen ausgewählten Indikationen wie Multiple Sklerose, Spinaler Querschnitt und neuropathischen, also durch Nervenschädigung oder -reizung hervorgerufene Schmerzen," berichtet Kress. Auch bei entzündlichen Erkrankungen des Darmes, neurodegenerativen Erkrankungen, zentralen Bewegungsstörungen wie Multipler Sklerose, der Tic-Krankheit Tourette-Syndrom könne man THC verabreichen. "Daneben hat sich die Anwendung in der Palliativmedizin bei der Behandlung von Therapie-ausgelöster Übelkeit oder Erbrechen, Appetitlosigkeit sowie auszehrungsbedingtem Gewichtsverlust bei Aids oder Krebs bewährt."

"Neu ist die Erkenntnis, dass Cannabinoide bei der rheumatoiden Arthritis eine zusätzliche schmerzlindernde Wirkung ausüben können." Nicht bewährt jedoch haben sich Cannabinoide beim postoperativen Akutschmerz. "Die Verwendung von natürlichen Cannabinoiden kann gerade beim Auftreten von Problemen mit konventionellen Medikamenten erfolgreich sein", erklärt Kress, der Leiter der größten Schmerzambulanz Österreichs ist.

Als Fertigarzneimittel gebe es THC derzeit noch nicht. Ein deutsches Pharmaunternehmen arbeite aber gerade daran. Ehe dieses Produkt auf dem Markt sein wird werde es allerdings noch ein bis zwei Jahre dauern, schätzt der Mediziner. "Derzeit gibt es allerdings zahlreiche Apotheken, die Tabletten oder Tropfen aus der Wirksubstanz zubereiten und gegen ein so genanntes Suchtmittelrezept abgeben", erklärt Kress. Krankenkassen bezahlen die Präparate auf Antrag. Kress betont, dass der natürliche Wirkstoff wesentlich kostengünstiger sei, als das synthetisch hergestellte.

Die meisten klinischen Daten über die Wirkungen liegen derzeit für Multiple Sklerose vor. Bei einer großen britischen Studie konnte im Vergleich zu Placebo eine signifikante subjektive, jedoch nicht objektivierbare Reduktion der Spastik unter dem Cannabisextrakt festgestellt werden. "Zudem wurde bei den Patienten eine objektivierbare funktionelle und eine deutliche subjektive Verbesserung festgestellt", berichtet Kress. "In weiteren kleineren Studien konnte festgestellt werden, dass es zu einer Verbesserung von Spastik, Blasenfunktion und Lebensqualität sowie zu einer deutlichen Reduktion von MS-assoziierten neuropathischen Schmerzen kam", erklärt der Mediziner abschließend im Interview.

Artikel vom 9. November 2006

 

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