Ein Gläschen in Ehren?

Entsetzt blickt die Gesellschaft auf ihre komasaufenden Jugendlichen, klagt und kämpft, weil sie sich abschießen bis zur Krankenhausreife. Dabei hat dieselbe Gesellschaft übersehen, dass die Generation der Eltern dasselbe tut. In den Klinikbetten, rechnen nun Suchtverbände und Krankenkassen vor, landen auch immer mehr 50- bis 60-Jährige, Diagnose: Alkoholvergiftung.

Es sind Statistiken, die man schon kennen könnte, hätte man nur hingesehen. Nur schleichend kommt die Erkenntnis - wie die Alkoholkrankheit selbst: Wir finden doch normal, dass jemand ein Gläschen nimmt oder zwei oder drei in diesem Deutschland, wo das gesellschaftlich akzeptiert ist, ja sogar erwünscht. Wie wird denn einer angeschaut, der den Sekt zur Begrüßung ablehnt, das Bier an der Theke, den wirklich guten Wein? Wie ungesellig! Oder krank?

Eben. Oft ist vielleicht der Körper krank oder vor lauter Stress die Seele und der Alkohol leicht zugängliche Medizin, bevor er selbst zum Problem wird. Wer will, wer kann da urteilen über das Zuviel? Zumal wir Alkohol mögen, Alkoholismus aber nicht. Man sieht das nicht gern. Und deshalb lieber nicht hin.

Annika Fischer

Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Artikel vom 12. Juli 2009

 

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