Interview zur Alkoholsucht

Prof. Illes, es ist allgemein bekannt, dass Alkoholismus für den Betroffenen ein gesundheitliches Problem darstellt und dass auch die Angehörigen des Alkoholikers sehr stark betroffen sind. Zudem wird immer wieder die volkswirtschaftliche Komponente des Problems hervorgehoben. Könnten Sie das etwas näher erläutern?

Es ist in der Tat so, dass der Alkoholismus ein gesundheitliches, soziales und volkswirtschaftliches Problem darstellt. Eine unmittelbare Konsequenz der Trunkenheit sind Arbeits- und Verkehrsunfälle. Längerfristig muss ein Alkoholiker damit rechnen, dass Magen und Darm erheblich geschädigt werden und unweigerlich Leberzirrhose einsetzt. Es ist außerdem bekannt, dass es zu chronischen Denkstörungen kommen kann, die durch den Abbau von Hirnarealen hervorgerufen werden. Neben einem generellen Gedächtnisschwund ist besonders das Kurzzeitgedächtnis betroffen. Da für Alkoholkranke der Alkohol oft andere Nahrungsmittel ersetzt, kommt es längerfristig u. a. zum Mangel an Vitamin-B1, das unser Nervensystem unbedingt braucht. Fehlt es, kommt es zu Nervenschäden und Nervenentzündungen. Auch Auswirkungen auf das ungeborene Kind in Form von schweren Entwicklungsstörungen sind bekannt. Daraus ergeben sich beträchtliche Ausgaben im Gesundheitswesen, Arbeitsausfall und fatale Folgen für die Familie, die ohnehin unter den akuten Folgen des Alkoholismus eines Familienmitgliedes schwer zu leiden hat. Da der Trinker durch den Alkohol die Kontrolle über sich verliert, kommt es nicht selten zu Gewaltausbrüchen, die sich oft gegen die schwächsten Familienmitglieder richten. Die durch die Trunkenheit herabgesetzte hemmschwelle für Aggressionen führt auch zu einer hohen Selbstmordrate bei Alkoholikern.

Wenn die Gefährlichkeit des Alkohols allgemein bekannt ist, wieso verfallen doch immer wieder so viele der Droge?

Alkohol ist nur eine Droge unter vielen. Wir rechnen dazu auch das Nikotin oder Koffein und natürlich auch das Rauschgift. Während letzteres durch die Gesellschaft gewöhnlich abgelehnt wird, wird der Alkohol sozial akzeptiert. Man trinkt ihn zu feierlichen Anlässen, zur Entspannung am Abend und zu vielen anderen Gelegenheiten. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass es sich um ein Suchtmittel handelt, dessen Gefährlichkeit gerade darin besteht, dass der Übergang vom normalen Konsum zur Sucht fließend ist.

Wann ist Ihrer Meinung nach die Grenze zum Alkoholismus überschritten?

Ich würde sagen, wenn jemand regelmäßig Alkohol trinken muss, dann ist die Gefahr, dass er zum Alkoholiker geworden ist, sehr groß. Eine Sucht zeichnet sich eben durch die psychische Abhängigkeit vom Suchtmittel aus. Der Betroffene hat ein unstillbares Bedürfnis, in unserem Fall nach Alkohol, das er unbedingt befriedigen muss.

Neben der psychischen Abhängigkeit liegt eine physische Abhängigkeit vor. Bestimmte körperliche Funktionen können nur noch durch das Suchtmittel realisiert werden. Wird dem nicht entsprochen, kommt es zu Entzugserscheinungen. Der Alkoholiker zittert, bekommt Krämpfe, Halluzinationen oder wird von quälender Unruhe befallen. Oft kommt es zu allen genannten Erscheinungen. Entzugssymptome können auch lebensgefährlich sein, wenn es z. B. zu starkem Erbrechen kommt mit hohem Flüssigkeitsverlust, an dem der Betroffene zugrunde geht. In jedem Fall aber hat der Alkoholiker eine deutlich verringerte Lebenserwartung.

Deutliches Kennzeichen für die Alkoholsucht ist auch die Verschiebung der Toleranzgrenze. Der Alkoholiker kann zunehmend mehr vertragen und muss immer mehr trinken, wenn er den genannten Entzugserscheinungen entgehen will. D. h., er wird gegenüber seinem Suchtmittel immer unempfindlicher.

Wieviel Alkohol darf man regelmäßig zu sich nehmen, um die Grenze zum Alkoholismus nicht zu überschreiten?

Dafür gibt es keine festen Regeln. Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Der eine verträgt mehr, der andere weniger. In mediterranen Ländern z. B. trinkt man zu jeder Mahlzeit Wein. Eine allgemein gültige Regel besagt aber, dass beim Konsum von 80 - 100 g Alkohol pro Tag was etwa dem Alkoholgehalt von einer Flasche Wein entspricht, unweigerlich Alkoholismus entsteht.

Wann sollte jemand professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, um vom Alkohol loszukommen?

Es wäre schön, wenn der Mensch sagen würde, oh, ich bin jetzt alkoholsüchtig, ich muss jetzt einen Arzt aufsuchen, um vom Alkohol loszukommen. Gewöhnlich ist es so, dass beim Alkohol wie bei jedem Suchtmittel ein Teil des Hirns mit Glücksempfinden reagiert. Das betrifft alle lebenswichtigen Zentren, die z. B. das Essen und Trinken sowie den Sex steuern. Das es sich dabei um ein krankhaftes Glücksempfinden handelt, tut nichts zur Sache.

Erst wenn der Leidensdruck schon sehr groß ist, wird professionelle Hilfe gesucht, in der Regel noch von Angehörigen oder anderen Personen im Umfeld des Alkoholikers veranlaßt. Oft ist allerdings das soziale Umfeld schon völlig gestört. Gewalttätigkeit, finanzielle Not, Arbeitslosigkeit führen zur Lösung von Bindungen, womit der Alkoholiker dann wiederum mit Trinken fertig werden will. Eine Kette ohne Ende.

Wie kann dem Alkoholiker geholfen werden?

In erster Linie muss er sich selbst helfen. Er muss das Trinken wirklich aufgeben wollen. Angehörige und Ärzte können ihn dabei nur unterstützen. Es gibt auch keine Wundermedizin, bestenfalls Medikamente, die dem Alkoholiker helfen, seine Sucht zu überwinden. Die Rückfallquote ist sehr hoch.

Wir arbeiten zur Zeit mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie an der Entwicklung von neuen Medikamenten, die höhere Wirksamkeit als die bisherigen haben. Sie greifen direkt in den Kreislauf der Überträgersubstanzen (Transmitter) im Gehirn ein, der über Empfangs- bzw. Aufnahmeeinrichtungen (Rezeptoren) gesteuert wird. Letztere können empfindlicher oder weniger empfindlich auf Alkohol reagieren. Diese Erkenntnis bildet die Basis für die Suche nach Mitteln, mit denen man die Alkoholsucht bekämpfen kann. Ein solches bereits vorhandenes Mittel ist Acamprosat, das ein Jahr täglich genommen, die bisher niedrigste Rückfallquote bei Alkoholkranken bewirkt hat, nämlich zwei Prozent gegenüber 40 Prozent ohne dieses Mittel. Nach wie vor sind wir aber auf der Suche nach Medikamenten, die einmal die Rückfallquote noch mehr herabsetzen und zum anderen noch nebenwirkungsärmer sind.

Alkoholkranke müssen aber ein Leben lang abstinent sein, wenn sie nicht wieder dem Trinken verfallen wollen. Groß ist die Bedeutung von Selbsthilfegruppen ("Anonyme Alkoholiker") und des Verhaltenstrainings mit Unterstützung von Psychologen. Hier werden Situationen erprobt, in denen z. B. gelernt wird, wie von der Umgebung angebotener Alkohol abgelehnt werden kann.

Inwieweit Alkoholabhängigkeit auch genetisch bedingt sein kann, ist noch nicht vollständig erforscht. Man nimmt an, dass eine genetisch bedingte Änderung des Transmitters Dopamin die Ursache der Alkoholsucht sein kann. Das muss durch wissenschaftliche Studien noch gesichert werden.

Was kann die Gesellschaft gegen die Alkoholsucht tun?

Ich meine, dass man keinesfalls die Prohibition wieder und weltweit einführen sollte. Die Prohibition in den USA hat vor einigen Jahrzehnten ja gezeigt, dass es Mittel und Wege gibt, sie zu umgehen. Ich würde aber konsequent jegliche Werbung für Alkohol verbieten.

Universität Leipzig, Pressestelle
Artikel vom 12. August 1998

 

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