Alkoholkrankheit

Die Alkoholkrankheit (früher: Alkoholismus) ist eine chronische Suchtkrankheit. Das medizinische Diagnosekodierungssystem ICD-10 zählt sie zu den psychischen und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen. Der verursachende Stoff ist der Alkohol, genauer Ethanol (Ethylalkohol), der bei der alkoholischen Gärung entsteht.

Foto-Abbildung eines Manns, der mit Bademantel und Mütze bekleidet in der Badewanne liegt und Alkoholflaschen im Arm hält. Mit einer Hand führt er sich eine Flasche Alkohol zu, in der anderen Hand hält er eine glimmende Zigarette.
Alkoholiker

Um den Krankheitswert der Störung zu betonen, aber auch um die Hemmschwellen bezüglich Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe abzubauen, wird in der heutigen Beratungsliteratur weitgehend auf den Ausdruck ?Alkoholismus? verzichtet.

Die Alkoholkrankheit kann bereits durch den regelmäßigen Konsum kleinerer Mengen beginnen. Nicht immer fallen die Betroffenen durch häufige Rauschzustände auf. Die Alkoholkrankheit eines Betroffenen ist nicht immer nach außen hin bemerkbar. Ist der Betroffene weiterhin leistungsfähig, spricht man von einem funktionierenden Alkoholiker. Die Alkoholkrankheit verläuft relativ unauffällig und langsam. Den erkrankten Personen wird die Schwere ihrer Erkrankung oft nicht bewusst.

Noch immer sind Männer weitaus häufiger betroffen als Frauen. Von den mehr als 4,3 Millionen Alkoholabhängigen in Deutschland sind circa 70 Prozent Männer, wobei die Tendenz bei Frauen steigend ist. Auch beginnt der Krankheitsverlauf bei Männern meist früher: Während Frauen im Regelfall erst im mittleren Lebensalter beginnen auffällig zu trinken, sind bei Männern die Anfänge eines exzessiven Trinkverhaltens meist schon in der frühen Jugend erkennbar.

Übermäßiger Alkoholkonsum verursacht schwere und bleibende psychische und körperliche Folgeerkrankungen. Die Alkoholkrankheit verläuft nicht selten tödlich, wenngleich die direkten Todesursachen meist durch die Folgekrankheiten (Leberzirrhose und multiple Organschädigungen, Herzinfarkt, Epilepsie) bedingt sind.

Wegen des hohen Abhängigkeitpotentials von Ethanol wird häufig der ausnahmslose Verzicht auf alkoholische Getränke, Speisen, Medikamente, etc propagiert. Um dieses Ziel zu erreichen, kann auf eine Psychotherapie nicht verzichtet werden.

Krankheitsverlauf und -bild

Der amerikanische Physiologe Elvin Morton Jellinek formulierte 1951 ein bis heute weit verbreitetes Modell vom Verlauf der Alkoholkrankheit. Er unterscheidet vier Phasen:

Symptomatische Phase

Der Beginn des Konsums alkoholischer Getränke ist immer sozial motiviert. Im Gegensatz zu durchschnittlichen Trinkern empfindet der spätere Alkoholiker befriedigende Erleichterung. Entweder weil seine inneren Spannungen größer sind, oder er, im Gegensatz zu anderen, nicht gelernt hat, mit ihnen umzugehen. Anfangs schreibt der Trinker seine Erleichterung eher der Situation zu (lustige Gesellschaft), als dem Trinken. Er sucht Gelegenheiten, bei denen beiläufig getrunken wird.

Im Laufe von Monaten bis Jahren lässt seine Toleranz für seelische Belastungen so sehr nach, dass er praktisch tägliche Zuflucht im Alkohol sucht. Da er nicht offen betrunken ist, erscheint sein Trinken weder ihm noch seiner Umgebung verdächtig. Mit der Zeit erhöht sich die Alkoholtoleranz. Der Alkoholiker entwickelt einen gesteigerten Bedarf. Nach weiteren Monaten bis Jahren geht das Stadium vom gelegentlichen zum dauernden Erleichterungs- /Entlastungstrinken über. Für die gleiche Wirkung wird immer mehr Alkohol benötigt.

Prodromale Phase oder Vorläufer-Phase

Die prodromale Phase oder Vorläufer-Phase der Sucht ist gekennzeichnet durch plötzlich auftretende Erinnerungslücken oder Amnesien. Sie können ohne Anzeichen von Trunkenheit auftreten. Der Trinker kann Unterhaltungen führen und Arbeiten leisten, sich aber am nächsten Tag tatsächlich nicht mehr erinnern. Bier, Wein und Spirituosen hören auf Getränke zu sein, werden zur dringend benötigten ?Medizin?. Dem Trinker wird allmählich bewusst, dass er anders trinkt als andere. Er beginnt sich zu schämen und vor Beurteilung durch andere zu fürchten. Er trinkt heimlich bei geselligen Gelegenheiten und legt sich Verstecke mit größeren Alkoholvorräten an. Der Alkoholiker denkt dauernd an Alkohol. Wegen der verstärkten Abhängigkeit tritt das ?gierige Trinken? auf, das Herunterkippen des oder der ersten Gläser. Der Alkoholiker spürt, dass etwas nicht stimmt und entwickelt Schuldgefühle und Scham wegen seiner Trinkart. Er vermeidet Anspielungen auf Alkohol und Trinkverhalten in Gesprächen.

Der Alkoholkonsum ist bis hierhin schon sehr hoch, fällt aber nicht besonders auf, da er zu keinem deutlichen Rausch führt. Diese Phase endet mit ?zunehmenden Gedächtnislücken?. Durch die täglichen Betäubungen mit Alkohol verändern sich Nerven- und Stoffwechselvorgänge. Die körperliche Leistungsfähigkeit und Abwehrkräfte nehmen langsam ab. Es kommt häufiger zu Erkältungkrankheiten oder Kreislaufstörungen.

Die kritische Phase

In der kritischen Phase erleidet der Kranke Kontrollverluste. Schon nach dem Konsum kleiner Mengen Alkohols entsteht ein intensives Verlangen nach mehr, das erst endet, wenn der Trinker zu betrunken oder zu krank ist, um mehr zu trinken. Ein Rest von Kontrolle besteht noch. Der Betroffene versucht, sich zu ?beherrschen?. Er verspricht Abstinenz und versucht sie auch einzuhalten, scheitert damit aber auf Dauer. Er sucht Ausreden für sein Trinken. Jeder Kontrollverlust habe einen guten äußeren Grund gehabt.

Diese Erklärungsversuche seines Verhaltens sind ihm wichtig, da er außer dem Alkohol keine anderen Lösungen seiner Probleme kennt. Sie erweitern sich zu einem ganzen Erklärungssystem, das sich auf sein gesamtes Leben ausdehnt. Er wehrt sich damit gegen soziale Belastungen. Wegen seiner Persönlichkeitsveränderung entstehen immer häufiger Konflikte mit Freunden, Familie und im Beruf. Der Süchtige kompensiert sein schrumpfendes Selbstwertgefühl durch gespielte übergroße Selbstsicherheit nach außen.

Das Erklärungssystem und die Konflikte isolieren den Kranken zunehmend. Er sucht aber die Fehler nicht bei sich, sondern den anderen und entwickelt ein auffällig aggressives Verhalten. Als Reaktion auf den sozialen Druck durchlebt der Kranke Perioden völliger Abstinenz. Er versucht eine andere Methode, sein Trinken zu kontrollieren. Er ändert das Trinksystem und stellt Regeln auf (nur bestimmte Alkoholarten an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten). Auf mangelndes Verständnis seiner Umgebung (?Ein Bier ist doch o.k.?) für sein Leiden reagiert der Süchtige mit zunehmender sozialer Isolation. Er zieht sich von Freunden zurück und wechselt Arbeitsplätze. Der Trinker ?verliert das Interesse? an seiner Umgebung, er richtet seine Tätigkeiten nach dem Trinken aus und entwickelt ein auffallendes Selbstmitleid. Die soziale Isolation und die Verstrickung in Lügen und Erklärungen werden unerträglich, der Alkoholiker flüchtet in Gedanken oder durch tatsächliche Ortswechsel.

Das Familienleben ändert sich. Die Familie, die den Trinkenden oft noch ?deckt? (Koalkoholismus, Koabhängigkeit), isoliert sich gesellschaftlich oder, ganz im Gegenteil, flüchtet sich vor dem häuslichen Umfeld in ausgiebige Aktivitäten. Der Alkoholiker reagiert mit grundlosem Unwillen. Wenn der ?Stoff? fehlt, startet er abenteuerliche Beschaffungsversuche. Er versucht seinen Vorrat zu sichern, indem er Alkohol an den ungewöhnlichsten Orten versteckt. Körperliche Folgen treten auf, wie Händezittern, Schweißausbrüche und sexuelle Störungen (Impotenz). Sie werden verstärkt durch Vernachlässigung der Ernährung. Die ersten Krankenhauseinweisungen wegen alkoholbedingter Schwierigkeiten erfolgen. Es kommt zum morgendlichen Trinken. Tägliche Trunkenheit wird zur Regel. In der kritischen Phase kämpft der Süchtige gegen den Verlust der sozialen Basis.

Die chronische Phase

Die chronische Phase endet in der Zerstörung des Menschen. Der Alkoholiker baut ethisch ab, Rauschzustände werden länger. Bei einigen treten alkoholische Psychosen wie Schizophrenie auf. Der Alkoholiker trinkt mit Personen weit unter Niveau. Falls keine alkoholischen Getränke verfügbar sind, konsumiert er auch vergällten Alkohol (z.B. Brennspiritus, siehe unter Ethanol). Ein Verlust der Alkoholtoleranz fällt auf, der Alkoholiker verträgt weniger. Es treten undefinierbare Angstzustände und Zittern auf. Auf die Entzugssymptome reagiert der Alkoholiker mit besessenem Trinken. Viele Alkoholiker entwickeln unbestimmte religiöse Wünsche. Die Erklärungsversuche werden schwächer, es kommt der Punkt, an dem das Erklärungssystem versagt. Der Süchtige gibt seine Niederlage zu. Der Kranke bricht zusammen, nicht wenige begehen Selbstmordversuche.

Trinkt der Kranke weiter, treten im Alkoholdelirium Alkoholpsychosen mit Halluzinationen, Stimmenhören, Angst, Desorientierung auf. Die schwerste Folge ist das lebensgefährliche Delirium tremens, das bei plötzlichem Alkoholentzug auftreten kann. Jetzt werden auch Schizophrenie oder Epilepsie mit lebensbedrohlichen Zuständen offensichtlich. In dieser Endphase ist der Kranke am ehesten bereit, Hilfe anzunehmen. Eine Einweisung in eine spezielle Entgiftungsklinik ist für ihn lebensrettend ? und der mögliche Einstieg in eine Entwöhnungsbehandlung, die Erfolgsraten sind jedoch gering, mehrfache Langzeittherapien die Regel.

Ausprägungen der Krankheit

Auf Jellinek geht auch die gebräuchlichste Einteilung von Erscheinungsformen der Alkoholkrankheit zurück:

Der Alpha-Typ (Erleichterungstrinker) trinkt, um innere Spannungen und Konflikte zu beseitigen. Die Menge hängt ab von der jeweiligen Stress-Situation. Es besteht vor allem die Gefahr psychischer Abhängigkeit, da noch keine körperliche Abhängigkeit eingetreten ist. Alphatrinker sind nicht alkoholkrank, aber gefährdet.

Der Beta-Typ (Gelegenheitstrinker) trinkt bei sozialen Anlässen große Mengen, bleibt aber sozial und psychisch unauffällig. Betatrinker haben einen alkoholnahen Lebensstil. Gesundheitliche Folgen entstehen durch häufigen Alkoholkonsum. Sie sind weder körperlich noch psychisch abhängig, aber gefährdet.

Der Gamma-Typ (Rauschtrinker, Alkoholiker) hat längere abstinente Phasen, die sich mit Phasen starker Berauschung abwechseln. Typisch ist der Kontrollverlust: Er kann nicht zu trinken aufhören, auch wenn er bereits das Gefühl hat, genug zu haben. Auch wenn er sich wegen der Fähigkeit zu längeren Abstinenzphasen sicher fühlt, ist er alkoholkrank.

Der Delta-Typ (Spiegeltrinker, Alkoholiker) bleibt lange Zeit sozial unauffällig, weil er selten erkennbar betrunken ist. Dennoch besteht eine starke körperliche Abhängigkeit, so dass er ständig Alkohol trinken muss, um Entzugssymptome zu vermeiden. Durch das ständige Trinken entstehen körperliche Folgeschäden. Deltatrinker sind nicht abstinenzfähig und alkoholkrank.

Der Epsilon-Typ (Quartalssäufer, Alkoholiker) erlebt in unregelmäßigen Intervallen Phasen exzessiven Alkoholkonsums mit Kontrollverlust, die Tage oder Wochen dauern können. Dazwischen kann er monatelang abstinent bleiben. Epsilontrinker sind alkoholkrank.

Folgekrankheiten

Alkoholfolgekrankheiten sind z.B. Leberzirrhose, Varizen der Speiseröhre, Magenblutungen, Aszites (freie Flüssigkeit in der Bauchhöhle), Pankreatitis (Entzündung der Bauchspeicheldrüse), Epilepsie, Mund- und Speiseröhrenkrebs, Myokarditis (Entzündung des Herzmuskels), Myositis (Muskelentzündung), Immundefekt mit vermehrten Pneumonien und Tuberkulose, Rippenfrakturen und andere Unfallfolgen, Nervenerkrankungen und Hirnleistungsstörungen wie das Korsakow-Syndrom oder eine Wernicke-Enzephalopathie. Hinzu kommen Wahrnehmungs- und Hirnstörungen sowie Psychosen.

Im fortgeschrittenen Zustand leiden Betroffene unter allgemeinem körperlichem Verfall durch diese Folgeerkrankungen, sowie unter sozialer Isolation (Verlust von Freunden, Familie, Arbeitsplatz).

Alkoholkrankheit betrifft außerdem die gesamte Familie. Gewalttätigkeiten gegenüber dem/der Partner/in oder den Kindern können das Familienleben schwerst belasten. Oft kommt es zur Trennung der Partner. Kinder von Alkoholikern weisen später oft bestimmte Verhaltensmuster auf und sind besonders gefährdet, selbst abhängig zu werden bzw. sich an einen abhängigen Partner zu binden.

Krankheitsursachen

Individuelle Ursachen

Die Hauptursache für die Erkrankung scheint in der psychosozialen Entwicklung zu liegen. Alkohol ? und Drogen allgemein ? werden häufig zum Abbau innerer Spannungen eingesetzt. Diese Spannungen treten auf, wenn das Selbstbild eines Menschen (z.B. besonders männlich oder erfolgreich zu sein) durch gegenteilige Erfahrungen in der Realität gefährdet wird. Drogenkonsum ist daher häufig bei Menschen zu beobachten, die dem narzißtischen Persönlichkeitstypus entsprechen.

Allerdings werden auch genetisch verursachte Unterschiede diskutiert, etwa im Alkoholabbau (Effizienz der Alkoholdehydrogenase) oder im Neurotransmitterstoffwechsel des Gehirns. Grundsätzlich muß wohl, wie bei vielen psychischen Erkrankungen, von einer multifaktoriellen Entstehung ausgegangen werden, die auch von der sog. Vulnerabilität (psychische Verletzlichkeit) des Einzelnen abhängt.

Erbliche Faktoren spielen in vielen Fällen eine entscheidende Rolle. Viele Alkoholiker haben oder hatten bereits Suchtkranke in der Familie. Wissenschaftler und Ärzte sind sich jedoch nicht schlüssig, ob das Suchtverhalten in diesen Fällen wirklich vererbt oder eher erlernt/abgeguckt ist. Einige Studien (v. a. durch Zwillinge) lassen jedoch vermuten, dass die Vererbung eines erhöhten Suchtpotentials sehr wahrscheinlich ist.

Die Defizite eines Alkoholpatienten werden oft von dessen Lebenspartner mitgetragen oder kompensiert. Meistens gewinnt der Lebenspartner aus seiner Hilfeleistung eine persönliche oder gesellschaftliche Anerkennung; er kann sein persönliches Selbstwertgefühl steigern. Partner, die solchen Mechanismen unterliegen, werden als Co-Alkoholiker bezeichnet.

Gesellschaftliche Ursachen

Alkohol ist in vielen Kulturen eine gesellschaftlich anerkannte, einfach und billig zu beschaffende Droge, deren Konsum in manchen Situationen geradezu erwartet wird. Beispiele sind die ?bürgerliche? Trinkkultur (Wein, Sekt, Whisky) oder das ?proletarische? gemeinsame ?Saufen? von Bier und Schnaps. Die Grenzen sind hier jedoch fließend, so ist beispielsweise das ?Feierabendbierchen? auch in ?höheren? Schichten eine Normalität. Alkohol ist in vielen Nationen in den Alltag integriert. Besonders ?trinkfeste? Männer galten als bewunderswert männlich und erfahren. Dies erschwert die Auseinandersetzung mit dem Problem und begünstigt Alkoholmissbrauch und Alkoholsucht.

Verbreitung und Ausmaß der Krankheit

Die Verbreitung und die Folgen der Alkoholkrankheit werden meist unterschätzt. Nach aktuellen Schätzungen gibt es 4,3 Millionen alkoholabhängige Menschen in Deutschland, darunter 30 Prozent Frauen. Weitere circa fünf Millionen konsumieren Alkohol in riskanter (suchtgefährdeter) Weise. Das Statistische Bundesamt zählte im Jahr 2000 16.000 Tote durch Alkoholkonsum; dabei trat der Tod in 9.550 Fällen durch Leberzirrhose ein. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung berichtete 2004 sogar von 40.000 Todesfällen als Folge übermäßigen Alkoholkonsums in Deutschland, davon 17.000 an Leberzirrhose (Zum Vergleich: Drogentod durch illegale Drogen 1.477, Tod als Folge des Tabakrauchens: 110.000). Hinzu kommen jährlich etwa 2.200 Kinder, die wegen des Alkoholmissbrauchs ihrer Mütter geschädigt zur Welt kommen. Weiterhin wird geschätzt, dass etwa 250.000 Kinder, Jugendliche und Junge Erwachsene unter 25 Jahren stark alkoholgefährdet oder schon abhängig sind. Alkoholiker findet man in allen gesellschaftlichen Schichten. Vor allem jugendliche Alkoholkranke kommen nicht selten aus gehobenen Schichten. Ihnen fehlt meist die Zuneigung der immerzu beschäftigten Eltern.

Gesellschaftliche Folgen

Die Folgekosten der Alkoholkrankheit sind enorm, da neben den Belastungen des Gesundheitswesens auch indirekte Kosten wie die Verluste an volkswirtschaftlicher Produktivität durch Arbeitsunfähigkeit und Frühberentung, sowie Folgekosten von alkoholbedingten Verkehrsunfällen, Straftaten und erhöhte Scheidungsraten von Alkoholkranken zu berücksichtigen sind. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtgefahren schätzt den jährlichen volkswirtschaftlichen Schaden auf 20 Milliarden Euro; andere Schätzungen belaufen sich auf 15 bis 40 Milliarden Euro. Dem stehen staatliche Einnahmen an Alkoholsteuern von zur Zeit etwas mehr als 3,5 Milliarden Euro gegenüber. Die Umsätze der Alkoholindustrie Deutschlands belaufen sich auf gleich bleibend zwischen 15 und 17 Milliarden Euro, die mit rund 85.000 Beschäftigten erzielt werden.

Neben diesen materiellen Kosten muss man natürlich auch die seelischen ?Kosten? im Sinne des verursachten Leides berücksichtigen.

Behandlung

Bei einem Alkoholentzug wird der Alkohol abrupt abgesetzt. Weil dabei sehr heftige bis lebensbedrohliche Entzugserscheinungen auftreten können, sollte der Patient nach Möglichkeit stationär in einem Krankenhaus entgiften. Manche Krankenhäuser haben spezielle Entgiftungsstationen für Alkoholiker, wo erste Kontakte mit Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen geknüpft werden können. Die stationäre Entgiftung dauert 8 bis 14 Tage. Während dieser Zeit treten häufig Entzugssymptome wie Übelkeit, Nervosität, Schlafstörungen, der starke Drang Alkohol trinken zu müssen (Saufdruck), Gereiztheit und Depressionen auf. Ist die körperliche Abhängigkeit schon weiter fortgeschritten kommen starkes Schwitzen, Zittern (vor allem der Hände) und in äußerst schlimmen Fällen Krampfanfälle und Halluzinationen (Delirium tremens) hinzu.

Um die oben genannten vegetativen Entzugserscheinungen behandeln zu können, werden auf Entgiftungsstationen Medikamente vergeben, die, je nach Erfolg der Behandlung, langsam reduziert werden. In Deutschland üblich ist die Verwendung von "Distraneurin" (Wirkstoff Chlometiazol) oder eines Präparates von Benzodiazepin- Typ (z.B. Diazepam, früher Valium). Um die Gefahr von Entzugskrampfanfällen zu reduzieren, empfiehlt sich die Verwendung eines Antiepileptikums. Hat der Patient den Entzug überstanden, ist sein Körper vom Alkohol entgiftet. Damit der Suchtkranke es schafft trocken zu werden, sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden.

Eine Therapie kann entweder in einer langzeittherapeutischen Einrichtung oder ambulant erfolgen. Ambulante Therapien (meistens Einzel- und/oder Gruppengespräche) werden von Sozialpädagogen, Psychiatern, Psychotherapeuten, Ergotherapeuten, Heilpraktikern und Pfarreien angeboten. Erste Anlaufstellen für eine ambulante oder stationäre Therapie sind Suchtberatungsstellen oder psychosoziale Beratungsstellen. Auch die Gesundheitsämter können weiter helfen. Die wesentliche Erkenntnis, die ein Alkoholkranker aus der Therapie mitnehmen kann, ist, dass der Zustand der ?Alkohollosigkeit? unabdingbare Voraussetzung für seine ?Trockenheit? ist, sie allein ist noch nicht das Überwinden der Krankheit. Trocken zu werden und zu bleiben, ist somit keine Struktur, die angenommen werden kann, sondern sie ist ein lebenslanger Prozess, an dem der Kranke mitzuarbeiten hat.

Trockenheit bedeutet letztendlich, sich seiner ?alkoholischen? Denk- und Gefühlsstrukturen bewusst zu werden, sie zu erkennen, zu durchschauen und zu überwinden. Das Ergebnis davon, führt in die Gewissheit, dass das Leben des ?trockenen? Alkoholikers, des Suchtmittels nicht mehr bedarf ? sondern er in der Lage ist ohne dieses ein intensiveres Lebensempfinden zu erlangen. Somit ist die ?Abstinenz? für den Suchtkranken nicht der Verzicht auf oder das Verbot für alkoholische Getränke, es ist vielmehr die täglich zu spürende Bereicherung seines Lebens, durch die Überwindung der Krankheit.

Seit vielen Jahren haben sich Selbsthilfegruppen (z. B. Anonyme Alkoholiker) bewährt. Hier treffen sich in regelmäßigen Abständen trockene Alkoholiker, die über ihr gemeinsames Problem sprechen. Selbsthilfegruppen wirken außerordentlich unterstützend auf den Therapieerfolg, in manchen Fällen können sie sogar als Alternative zur klassischen Therapie in Betracht gezogen werden. Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn der Patient genügend Rückhalt durch Familie und Freunde hat.

Wünschenswert und unterstützend ist die Bereitschaft des Lebenspartners/der Partnerin, der Kinder und weiteren Angehörigen zur Änderung auch des eigenen Verhaltens. Auch für Angehörige und Freunde von Alkoholikern gibt es Selbsthilfegruppen, sowohl gemeinsam mit, wie auch getrennt von den Selbsthilfeangeboten für Alkoholkranke.

Medikamente

Bei Alkoholkranken ist die Übertragung vieler Botenstoffe im Gehirn gestört, z.B. erhöht sich die Anzahl der Glutamat-Bindungsstellen. Daher wurde versucht, durch die antagonistischen Opioide Acamprosat und Naltrexon regulierend einzugreifen und die psychischen Entzugserscheinungen zu mildern ? ein Verfahren, das bei Opioidsüchtigen bewährt ist. In den USA wird derzeit eine injizierbare Depotformulierung von Naltrexon klinisch erprobt (Handelsname Vivitrex). Schon wesentlich länger im Gebrauch ist die Substanz Disulfiram (Antabus (R)), die einen anderen Mechanismus nutzt: durch Hemmung eines für den Alkoholabbau wichtigen Enzyms erhöht sich der Acetaldehyd-Spiegel, und der Süchtige bekommt schwere Kopfschmerzen und Brechreiz. Das soll ihm das Trinken verleiden.

Zur Behandlung bei Suchtkrankheiten wird auch Akupunktur verwendet. Der Nutzen der medikamentösen Suchtvorbeugung ist beim Alkoholismus bisher fraglich (Cochrane-Report).

Prognose

Der Erfolg hängt meist weniger von der Art und Dauer der Therapie als von der Willenskraft des Süchtigen ab. Trotzdem gilt, je eher eine Alkoholkrankheit behandelt wird, desto besser ist die Erfolgsaussicht. Ist der Patient einsichtig und hat er den starken Wunsch mit dem Trinken aufzuhören, hat er recht gute Chancen. Immerhin schaffen es ca. 50 % langfristig abstinent zu bleiben, wobei ?kleine? Rückfälle in Schüben zum Normalfall gehören.

Schwere Rückfälle machen einen erneuten Entzug mit anschließender Therapie unumgänglich. Viele Patienten gelangen erst nach mehreren Therapiemaßnahmen zu einer stabilen Trockenheit. Zu Rückfällen kann es nach Jahren und sogar Jahrzehnten noch kommen. Eine Heilung im eigentlichen Sinne gibt es somit nicht. Die Krankheit kann nur durch Abstinenz gestoppt, aber nicht geheilt werden.

Kritik

Das Konzept von Alkoholismus als Krankheit und insbesondere Jellineks Theorie der "Trinkertypen" sind nicht unumstritten in der Forschung. Insbesondere die Vorstellung eines unumkehrbaren Prozesses wird heute von vielen Autoren kritisch betrachtet, da er bei Betroffenen gemäß einer sich selbst erfüllenden Prophezeihung wirken kann: bei einem Ex-Alkoholiker, der gesagt bekommt, dass jeder Verstoß gegen die Abstinenz ihn unmittelbar in seinen alten Zustand versetzt, wird ein "Rückfall" auch entsprechende Auswirkungen haben. Im therapeutischen Bereich werden daher mittlerweile auch alternative Konzepte angeboten, etwa zum sogenannten kontrollierten Trinken. Aber auch dieses "kontrollierte Trinken" ist heftig als Therapieform umstritten.

Ein in Phasen verlaufendes Krankheitsbild (prodromale, kritische, chronische Phase) zeigt bereits im ersten Abschnitt, auffallendes Verhalten des Erkrankten, das er selbst bemerkt und mit vielen "Kontrollmechanismen" zu beherrschen versucht. Dies scheitert regelmäßig, da die Krankheit voranschreitet und die kritische bis chronische Phase durchlaufen wird, wenn auch unter Selbstverleugnung einer vorhandenen Krankheit. Der Wunsch zu kontrollieren, der ja bei einem, der normal mit Alkohol umgehen kann, nie auftauchen wird, ist bereits der Kontrollverlust, eines von zwei untrüglichen Kriterien für die Alkoholkrankheit (den Alkoholismus). (Das zweite bzw. andere Kriterium, ist der Einsatz des Alkohols, um die eigene Stimmungslage zu verändern - subjektiv als Verbesserung empfunden).

Wer nun in der "Vorphase" der heraufziehenden Krankheit, den Eigenversuch des "kontrollierten" Trinkens anwenden möchte, wird selten darin Erfolg haben, den Alkoholismus damit zu bekämpfen, einzig die Trinkgewohnheiten moderater gestalten zu wollen und die psychische Dimension dieser Erkrankung völlig unberücksichtigt zu lassen. Allerhöchstens in einer Konstellation, da der Betroffene lediglich zuviel trinkt - ohne Alkoholiker zu sein - könnte die Selbstbeschränkung den Ausbruch der Erkrankung verhindern oder verzögern. Nur bis heute steht der Beweis aus, dass diese besondere Form des Alkoholmissbrauches überhaupt besteht. Regelmäßiges "über die Stränge schlagen", das diesen Wunsch zur Selbstrestriktion erst auslösen könnte, führt in relativ kurzer Zeit zu einer (körperlichen) Abhängigkeit, die sich nicht durch eine Selbstdisziplinierung aufheben lässt. Insofern beißt der Hund sich irgendwie in den eigenen Schwanz:

Zuviel trinken, ohne Alkoholiker zu sein, wird den Wunsch nach Eindämmung des Alkoholkonsumes nicht wachrufen.

Zuviel trinken mit vorhandener Abhängigkeit, lässt sich nicht durch Herunterfahren des Levels regulieren, da dies jeder Alkoholiker schon mehrfach versucht hat, und dies eigentlich dem Aufzäumen des Pferdes von hinten entspricht: Wenn die psychische Situation des Abhängigen eine Verwandlung erfährt (nota bene: von ihm selbst herbeizuführen), dann wird der Alkohol als stimmungsbeeinflussendes Mittel nicht mehr benötigt und verliert seine Bedeutung für den Erkrankten. Diese Veränderung des eigenen Denkens, Fühlens und Handelns ist jedoch nur dann möglich, wenn auf den Einsatz des Suchtmittels verzichtet wird. Dann führt mit zunehmendem Erfolg der Lebensmeisterung, ohne "Stoff", die zunehmend als Bereicherung empfundene Steigerung der Lebensqualität, auch dazu, ein ausgesprochenes Glücksempfinden des Betroffenen darüber herzustellen, des Suchtmittels nicht mehr zu bedürfen. In diesem inneren Gleichgewicht wird der ehemals nasse Alkoholiker selten den Wunsch verspüren, Alkoholika in Maßen konsumieren zu können. Vermutlich ist somit der Wunsch nach kontrolliertem Trinken, nur bei denen vorhanden, die ihre eigenen Alkoholabhängigkeit (noch) nicht angenommen haben.



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